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Sehr geehrte Besucher!

Diese Rubrik ist neu und wird derzeit erstellt! Sie soll künftig Grundlageninformationen zum Verhältnis des Staates zu seinen jüdischen Bürgern in Zusammenhang mit der Vergangenheitsbewältigung (3. Reich) bieten.

 

Sollten Sie Interesse haben, DDR-GESCHICHTE.DE in Zusammenarbeit mit DDR-ZEITZEUGEN.DE mit einer Schilderung Ihrer persönlichen Erinnerungen bereichern zu wollen, dann schreiben Sie an: post [at] ddr-geschichte.de oder post [ at] ddr-zeitzeugen.de. Ihr Beitrag kann dann schon bald auf beiden Websites einem breiten Leserkreis zugängig sein... Nähere Informationen entnehmen Sie bitte der Rubrik FAQ oder dem Impressum auf www.ddr-zeitzeugen.de (Diese Seite entstand aus dem Zeitzeugenprojekt auf DDR-GESCHICHTE.DE und wird ebenfalls von Webmaster Dana Schieck betreut.)

Verhältnis der DDR zu den JüdischeN Gemeinden in den 1950er Jahren

Die Sowjetunion übte 1952/53 starken antisemitischen Druck auf die Jüdischen Gemeinden in der DDR aus. Die Gemeinden bildeten die Überreste des jüdischen Lebens vor dem Holocaust. Die meisten Juden wollten nicht in Deutschland leben und planten die Übersiedlung nach Palästina oder den USA. Der 1. Vorsitzende der Berliner Gemeinde war Erich Nehlhans, der 1947 von der Sowjetischen Militäradministration (SMAD) verhaftet und zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Er verschwand spurlos und wurde in seiner Funktion von Hans Erich Fabian abgelöst, der bereits 1949 nach New York auswanderte.
Die Jüdische Gemeinde in Berlin wurde von der American Joint Distribution Committee unterstützt, die die Frage nach den Aufnahmebedingungen aufwarf. Zu den Mitgliedern zählten damals sogenannte Volljuden, Halbjuden etc., aber auch jüdische Protestanten/ Katholiken. Im Jahr 1946 zählte die Jüdische Gemeinde 7070 Mitglieder, von denen 90 Prozent nicht-jüdische Ehepartner hatten.
Allmählich stabilisierte sich aber das Gemeindeleben, nicht zuletzt durch die Unterstützung jüdischer Organisationen und der Besatzungsmächte.
Heinz Galinski übernahm 1949 den Vorsitz und steuerte einen überparteilichen Kurs an.
Bald bildeten sich in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) weitere Gemeinden, so in Dresden, Erfurt, Halle, Chemnitz, Magdeburg und Schwerin, die jeweils zwischen 60 und 200 Mitglieder zählten. Die größte Jüdische Gemeinde außerhalb Berlins war Leipzig mit etwa 300 Mitgliedern.

Die Gemeinden waren auf staatliche Unterstützung angewiesen. Sie erhielten einen Teil der früheren Objekte der von den Nationalsozialisten ausgelöschten Gemeinden und schlossen sich - mit Ausnahme der Berliner Gemeinde - 1952 zum Verband der Jüdischen Gemeinden in der DDR zusammen. Die Gründung bedeutete allerdings eine Beschneidung der Gemeindeautonomie. Die Berliner Gemeinde wurde direkt vom Ostberliner Magistrat finanziert und trat erst 1960 dem Verband bei.

1952 kam es infolge des Slansky-Prozesses zu Behinderungen der Gemeindearbeit. Die Gemeindebüros wurden von der Staatssicherheit durchsucht, Akten wurden beschlagnahmt. In Erinnerung der Schrecken während des 3. Reiches löste dies Angst bei den jüdischen Bürgern aus.  Allein Anfang des Jahres 1953 flohen 400 Juden in den Westen, darunter der zeitweilige Kanzleichef von Wilhelm Pieck, Leo Zuckermann, und der Volkskammerabgeordnete Julius Meyer. Der in Berlin tätige amerikanische Rabbiner Nathan Peter Levinson drängte Galinski zudem, die Juden in der DDR zum Verlassen des Landes ausdrücklich aufzufordern. Galinski berief daraufhin eine Pressekonferenz ein.

Die Gemeindebibliothek wurde schließlich in den Westteil Berlins gebracht, die Vorsteher der Jüdischen Gemeinden von Leipzig, Erfurt, Halle und Schwerin gingen in den Westen. Julius Meyer, der Vorsitzende des Verbandes der Jüdischen Gemeinden der DDR, war besonders gefährdet. Er hatte in seiner Wohnung ein Treffen von Ministerpräsident Otto Grotewohl mit dem israelischen Konsul in München Yachil und dem Westberliner Vertreter der Jewish Agency Livneh organisiert. Damals hatte Otto Grotewohl wahrscheinlich - inoffiziell - Entschädigungsleistungen in Erwägung gezogen, von denen allerdings 1952/53 keine Rede mehr war.
Am 6.1.1953 mußte sich Meyer vor der
Zentralen Parteikontrollkommission (ZPKK) in einem fünfstündigen Gespräch mit deren stellvertretenden Vorsitzenden Günter Tenner verantworten. Er sollte Auskunft über das American Joint Distribution Committee, die Westkontakte der Jüdischen Gemeinde, deren Haltung zum Zionismus und zum Slansky-Prozeß geben. Am nächsten Tag kam es zu einem weiteren Verhör mit Otto Geschke, dem Vorsitzenden der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN). Meyer lehnte es jedoch ab, ohne vorherige Absprache mit der Gemeinde Auskünfte zu geben und Stellung zu den genannten Themen zu nehmen. Es kam somit am 8.1. zu einer erneuten Vorladung, bei der Meyer im Namen der Gemeinde den Slansky-Prozeß billigen, den Antisemitismus in der DDR und der sozialistischen Staatengemeinschaft insgesamt verneinen und Israel als faschistischen Staat bezeichnen sollte. Meyer lehnte das jedoch ab und floh am 13./14.2. in den Westen.
Es folgte am 25.1. eine Verhaftungswelle jüdischer Kommunisten, die den geflohenen Gemeindemitgliedern geholfen hatten. Unter den Betroffenen war
Bruno Wolf, der Vorsitzende der Abteilung Bildung und religiöse Angelegenheiten im Zentralkomitee (ZK) der SED. Am 20.1. waren schließlich Meyer und andere vom Zentralvorstand der VVN ausgeschlossen worden.

Einen Monat später mußte die VVN allerdings ihre Arbeit einstellen, da es am 16.1. zu einem antisemitischen Vorfall während einer Versammlung kam: Der Schulleiter Stein “betonte, daß Juden nie durch Arbeit ihr Vermögen haben und deshalb von Hitler umgebracht werden sollten” und riet, “daß man auf die hiesige und andere jüdische Gemeinden aufpassen müßte.”

Am 8.1.1953 befaßte sich die SED-Kreisleitung Leipzig-Stadt mit dem Slansky-Prozeß. Es folgte eine Kampagne an Überpüfungen, die mindestens 100 Leiziger jüdischer Herkunft betraf. Die Mitgliederzahl der Leipziger Jüdischen Gemeinde sank in diesem Zusammenhang von 317 (1950) auf 173 (1953). Auch in anderen Gemeinden der DDR war die Mitgliederzahl rückläufig.

Der Druck auf die Jüdischen Gemeinden sank mit dem Tod Stalins am 4.4.1953 und dem damit verbundenen Ende des stalinistischen Kurses der SED. Auf einmal erhielten die Gemeinden hohe materielle Zuwendungen, Einbürgerungsgesuche jüdischer Emigranten wurden nun genehmigt. Das “Neue Deutschland” berichtete am 29.1.1953 über die Verhängung von Zuchthausstrafen gegen Bürger, die “antisemitische Hetzparolen und Verleumdungen über jüdische Mitbürger verbreitet hatten”.

Wenngleich der stalinistische Antisemitismus der Anfangsjahre, der nicht in Exzessen wie in der Sowjetunion und der Tschechoslowakei gipfelte, eine vorübergehende Phase darstellte, kann dennoch resümiert werden, daß das Verhältnis zwischen Staat und Jüdischen Gemeinden sehr ambivalent war.

Insbesondere hinsichtlich der Anfangsjahre ist zu fragen, welche Vorteile die SED durch die antijüdischen Kampagnen hatte:
a) Indem man den Jüdischen Gemeinden ihre Autonomie nahm und ihre Kontakte in den Westen unterband, blockierte bzw. lenkte man  jegliche politische Aktivität ihrer Mitglieder.
b) Der Ausschluß jüdischer Kommunisten von hochrangigen Ämtern verringerte die Konkurrenz beim politischen Aufstieg.
c) Durch eine negative Darstellung der jüdischen Bürger, daß sie die politischen Ziele der Regierung untergrüben, wurde ihre Opferrolle infrage gestellt. Ehemalige Mittäter der Nationalsozialisten im 3. Reich konnten sich nun ungenierter bewegen.

Dieses Kapitel antisemitischer Aktionen wurde auch in späteren DDR-Zeiten nicht aufgearbeitet, so daß die Opfer nie rehabilitiert wurden.

verwendete Literatur:

  • Keßler, Mario, die SED und die Juden - zwischen Repression und Toleranz, Politische Entwicklungen bis 1967 (Zeithistorische Studien, Bd. 6), hg. vom Forschungsschwerpunkt Zeithistorische Studien Potsdam, Berlin 1995, S. 99-123.