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HINWEIS: Der nachfolgende Textauszug1 ist einem DDR-Lexikon entnommen und kritisch zu lesen. Fett markierte Passagen dienen der schnelleren Erfassung des recht umfangreichen Artikels.

“Religion [<lat. religare, “verbinden”, oder religere, “berücksichtigen”]: Form des gesellschaftlichen Bewußtseins, in der die objektive Realität, insbesondere das menschliche Dasein, in verzerrter und phantastischer Weise widergespiegelt wird. Religion ist eine idealistische Welt- und Lebensanschauung, in der als primäre Ursache des natürlichen und gesellschaftlichen Geschehens ein persönlicher Gott, mehrere Götter, Geister oder ähnliches bzw. unpersönliche übernatürliche Kräfte und Mächte angesehen werden. Religion ist geprägt durch eine irrationale, gefühlsmäßig betonte Glaubenshaltung, in der sich der religiöse Mensch einerseits von geheimnisvollen, übernatürlichen Mächten abhängig fühlt, diese andererseits in seinem Interesse zu beeeinflussen glaubt (durch Gebet, Opfer u.a. Riten und Kulthandlungen). Die erkenntnistheoretischen Wurzeln der Religion liegen im illusorischen Überschreiten der historisch bedingten Erkenntnisschranken der jeweiligen Gesellschaftsformation, die es nicht ermöglichten, die natürlichen und besonders gesellschaftlichen Zusammenhänge wissenschaftlich zu erfassen. Religiöse Fragen sind die phantastische, besonders emotionale und verzerrte Widerspiegelung wirklicher Fragen, die aus dem materiellen Lebensprozeß der Menschen hervorgegangen sind. [...]

Daß eine Reihe von bekannten Naturwissenschaftlern zugleich religiös eingestellt war, widerlegt nicht die Unvereinbarkeit von Wissenschaft und Religion, da in keinem Falle die Religion aus den entsprechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen zwangsläufig folgt. Vielmehr resultieren die religiösen Vorstellungen aus Tradition und Erziehung bzw. dem Unvermögen, die menschlichen und gesellschaftlichen Zusammenhänge mit wissenschaftlicher Genauigkeit zu durchschauen. Die religiöse Vorstellungswelt mancher Naturwissenschaftler steht somit neben und außerhalb ihrer naturwissenschaftlichen Erkenntnisse und Denkweise. Religion ist somit nicht primär eine Frage der Unwissenheit.

Erst Karl Marx und Friedrich Engels gelang es, das wahre Wesen der Religion zu entdecken, indem sie deren soziale Wurzeln bloßlegten. Wichtige Vorläufer einer wissenschaftlichen Religionskritik waren die englischen und französischen Materialisten, besonders aber L. Feuerbach. Feuerbach zufolge schuf sich der Mensch Gott nach seinem Bilde. Feuerbach forderte in seiner Vorlesung über das “Wesen der Religion” die Hörer auf, “aus Gottesfreunden zu Menschenfreunden, aus Gläubigen zu Denkern, aus Betern zu Arbeitern, aus Kandidaten des Jenseits zu Studenten des Diesseits” zu werden. Marx und Engels erklärten die Religion vornehmlich aus der Ohnmacht der unterdrückten Volksmassen gegenüber den herrschenden Ausbeuterklassen, aus der Unmöglichkeit, ihr eigenes Leben ihrem eigenen Interesse gemäß gestalten zu können, aus einer Welt, in der nach Marx für die Volksmasse “das menschliche Wesen keine wahre Wirklichkeit besitzt”. Deshalb ist die Religion für diese Welt ihre “moralische Sanktion, ihre feierliche Ergänzung, ihr allgemeiner Trost- und Rechtfertigungsgrund”. Daher bestimmt Marx die Religion als den “Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüt einer herzlosen Welt, das Opium des Volkes”. Religion hat somit ihre Ursachen vornehmlich im Bestehen der Klassengesellschaft, der Ausbeutung und Unterdrückung der Volksmassen. Die soziale Wirklichkeit der Ausbeutergesellschaft erzeugt jedoch nicht nur das Bedürfnis der Volksmassen nach Religion, sondern auch die Möglichkeit und das Bestreben der herrschenden Klassen, die Religion als ideologisches Mittel der Manipulierung und der Rechtfertigung der bestehenden Zustände zu benutzen. Daher haben Religion und Kirche im Verlauf der Geschichte überwiegend (wenn auch nicht ausschließlich) im Dienst der Ausbeuterklassen und ihres jeweiligen Staates gestanden. Erst im Sozialismus werden die sozialen Wurzeln der Religion aufgehoben (Ausbeutung, Not und Elend, Unterdrückung, Unwissenheit). Daher schrieb Marx “Die Aufhebung der Religion als des illusorischen Glücks des Volkes ist die Forderung seines wirklichen Glücks”. Er fordert deshalb, “alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist”.

Die dem Sozialismus adäquate Weltanschauung trägt notwendigerweise wissenschaftlichen Charakter. Daher setzt sich der dialektische und historische Materialismus immer mehr als Weltanschauung des ganzen Volkes durch und stirbt die Religion in dem Maße allmählich ab, wie sich Sozialismus und Kommunismus entwickeln.

Im Sozialismus sind Staat und Kirche getrennt, Glaubens- und Gewissensfreiheit ist garantiert. Ohne die weltanschaulichen Gegensätze zu negieren, arbeiten Marxisten und religiöse Menschen zusammen, um auf der Grundlage gemeinsamer politischer und ökonomischer Interessen und einander verbindender humanistischer Ziele die sozialistische Gesellschaft zu gestalten. Das schließt die notwendige dialektisch-materialistische Bildung und Erziehung sowie eine sachliche und wissenschaftlich- fundierte Kritik der Religion keineswegs aus.”

 

siehe auch: Karl Marx: Quellen

Fußnoten:

1Meyers Neues Lexikon, Bd. 11, 2., völlig neu erarb. Aufl. in 18 Bänden, Leipzig 1975, S. 462f., sv. “Religion”.