Das Fach Staatsbürgerkunde wurde ab der 7. Klasse unterrichtet. Es sollte den Schülern ein festes Klassenbewußtsein (Bekenntnis zum
Arbeiter-und-Bauernstaat) vermitteln und sie zu staats- bzw. parteitreuen Bürgern formen. Den Jugendlichen wurden der Staatsaufbau, die Ideologie des Marxismus-Leninismus sowie Rechte und Pflichten des
DDR-Bürgers vermittelt. Dabei war es von großer Bedeutung, daß das kommunistische System dem kapitalistischen System als überlegen gegenübergestellt wurde. Der “Sieg” des Kommunismus über den
Kapitalismus wurde dabei als ein den Menschen von Unterdrückung, Unrecht und Not befreiender, sich aus seiner Vollkommenheit zwangsläufig ergebender Entwicklungsschritt in der Evolution des Menschen dargestellt.
Das folgende Schema ist einer Abbildung im Lehrbuch1 für Staatbürgerkunde Klasse 8 aus dem Jahr 1984 nachempfunden:
Sklavenhalterstaat
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Feudalstaat
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bürgerlicher Staat
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sozialistischer Staat
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Machtinstrument der Sklavenhalter
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Machtinstrument der Feudalherren
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Machtinstrument der Bourgeoisie
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Machtinstrument der Arbeiterklasse und aller anderen Werktätigen unter Führung der marxistisch-leninistischen
Partei
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Produktionsmittel sind Eigentum der Sklavenhalter
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Produktionsmittel sind Eigentum der Feudalherren
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Produktionsmittel sind Eigentum der Kapitalisten
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Produktionsmittel sind Eigentum des Volkes
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Ausbeutung der Sklaven
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Ausbeutung der feudalabhängigen Bauern
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Ausbeutung der Arbeiter
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Ausbeutung beseitigt
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festes Bündnis der Arbeiterklasse mit der Klasse der Genossenschaftsbauern, mit den Angehörigen der Intelligenz und allen anderen
Schichten des Volkes
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Die im Gegensatz zu allen anderen aufgeführten Staatsformen angeblich in allen Bereichen des Lebens gegebene Möglichkeit zur Mitgestaltung des Lebens
durch die Bürger der DDR wurde in diversen Übersichten im Lehrbuch vermittelt. Daß Mitbestimmung lediglich für Parteimitglieder der SED oder anderer - der
SED unterstellten - Parteien im Rahmen der kommunistischen Ideologie möglich war, wurde verschwiegen. Eine Möglichkeit zur Umsetzung des Volkswillens bestand nicht.
Das folgende Schema ist einer Abbildung im Lehrbuch2 für Staatbürgerkunde Klasse 8 aus dem Jahr 1984 nachempfunden:
Möglichkeiten, das Grundrecht auf u m f a s s e n d
e M i t g e s t a l t u n g des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens im Sozialismus wahrzunehmen
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Mitarbeit in Parteien und Massenorganisationen
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gewerkschaftliche Mitbestimmung in den Betrieben
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Wahl der Volksvertretungen
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Mitarbeit in der Rechtspflege (Schöffen, Schieds- und Konfliktkommissionen)
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Mitarbeit in den Organen der Volksvertretungen
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Mitarbeit im Ort oder Wohngebiet (Nationale Front)
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Arbeit als gewählte Volksvertreter
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Mitarbeit in gesellschaftlichen Kontrollorganen (ABI)
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Mitarbeit an Gesetzentwürfen
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Mitarbeit durch Eingaben
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Dennoch verstand sich die DDR als demokratischer Staat. Das Demokratieverständnis unterschied sich allerdings vom bundesdeutschen System. Demokratie
und Einbeziehung des Volkes in die Gestaltung des Staates definierte sich über den “Demokratischen Zentralismus”.
Das folgende Schema ist einer Abbildung im Lehrbuch3 für Staatbürgerkunde Klasse 8 aus dem Jahr 1984 nachempfunden:
Demokratischer Zentralismus
zentrale staatliche Entscheidungen über Grundfragen der gesellschaftlichen Entwicklung
Entfaltung breiter Initiative und Verantwortung der örtlichen Organe der Staatsmacht, der
Kombinate und Betriebe, der Arbeitskollektive und jedes einzelnen bei der Ausarbeitung und Verwirklichung zentraler staatlicher Entscheidungen
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Eine kritische Auseinandersetzung mit dem System, die Möglichkeit, unter anderem alltägliche Unzulänglichkeiten (z.B. Warenmangel) oder staatliche
Bevormundung (z.B. Parteizugehörigkeit, einschränkte Reise- und Meinungsfreiheit) und Schönfärberei (z.B. Nachrichtenmeldungen über angebliche
Planerfüllung oder nahezu 100prozentige Wahlabstimmungen mit “Ja”) zu thematisieren, war im Unterricht nicht gegeben. Auch wenn die Ansichten der Lehrer
und Schüler nicht immer mit den Lehrsätzen übereinstimmten, bestand der Unterricht vorwiegend aus reinem Auswendiglernen des Schulstoffes. Da zumeist
der FDJ-/ Pionierleiter der Schule das Fach unterrichtete, hätten inhaltliche Diskussionen zu sowohl schulischen als auch - daraus resultierend -
gesellschaftlichen und beruflichen Nachteilen führen können. Ein Gespräch mit dem Schuldirektor hätte beispielsweise den Ausschluß aus den
Jugendorganisationen zur Folge gehabt. Wer jedoch nicht Mitglied der Pionierorganisation oder der FDJ war, konnte an vielen Gruppenveranstaltungen nicht
teilnehmen, wurde als Außenseiter betrachtet und durfte weder die EOS noch die Universität besuchen. Darüber hinaus konnten sich sogar Nachteile für die
gesamte Familie ergeben, der von nun an das Mißtrauen des Staates bzw. der Partei entgegenschlug.
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Fußnoten:
1Beil, Herbert/ Bock, Werner/ Büchner-Uhder, Willi (Leitung), Staatsbürgerkunde, Klasse 8, Volk und Wissen Volkseigener Verlag, Berlin 1984, S. 6.
2ebd., S. 47. 3ebd., S. 40.
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