An dieser Stelle sollen einige ausgewählte Werke von DDR-Autoren näher vorgestellt werden.
Welche Romane, Gedichte etc. von DDR-Autoren haben Sie gelesen? Bringen Sie Ihre Eindrücke zu Papier! Darüber hinaus sind Angaben zu Inhalt und Aufbau hilfreich.
- L -
Hans Lorbeer:
Frühlingslied einer Traktoristin
Ich bin Traktoristin der MAS! Einst war ich beim Bauern die Magd, mußt melken die Schwarze, die Schecke, die Bleß, dann hab ich den Dienst aufgesagt.
Ich ging in die Werkstatt und packte mit an, mein Liebster, der nahm mich beim Ohr und sagte: “Nun lerne und steh deinen Mann!” und schob mich auf einen Traktor.
Bald bin ich gefahren das Feld auf und ab. Ich pflügte weit über mein Soll. Die Wolke stieg dunkel, warf Regen herab, der Wind sprang mich an, toll und voll.
Doch Furchen um Furchen zog ich übers Feld. So zwang ich das vorige Jahr. Im Frühling und Herbst wird der Acker bestellt und jedes Jahr besser sogar.
Nun sind wir im Märzen, der Frühling ist da, und da bin auch ich – und bereit! Der Frühling verrät, was im Winter geschah an Fleiß und Verantwortlichkeit:
wir kratzten den Rost und wir schmierten das Rad, die Achsen, die Wellen, das Seil, wir prüften die Kolben, die Kupplung, den Draht, den Hebel, die Ketten, den Keil.
Wir prüften uns selber und sind nun bereit, zur Frühjahrsbestellung zu ziehen. Es kommt eine bessere, hellere Zeit, da werden die Sorgen uns fliehen,
da werden wir lachen im Kampfe ums Brot und siegen in jedwedem Jahr. Wir ackern und ernten den Hunger zu Tod und stecken uns Blumen ins Haar.
Ich bin Traktoristin der MAS und werd Aktivistin bald sein. Dann ladet wohl zum Traktoristenkongreß der kluge Minister mich ein. Dann will ich berichten von meinem Traktor
und was auf den Feldern geschah. Und dann tret ich ganz dicht an das Rampenlicht vor und sage: “Der Frühling ist da!1
Quelleninterpretation
Text: Dana Schieck
Das Gedicht ist 1952 in dem Buch “Menschen und Werke. Vom Wachsen und Werden des neuen Lebens in der DDR” erschienen. Es
gibt keinen Hinweis auf Kürzungen oder fehlende Passagen.
Der Verfasser Hans Lorbeer, geboren am 15.8.1901, trat 1918 in die Freie Sozialistische Jugend und 1921 in die KPD ein. Er schrieb für
die KPD-Zeitung “Klassenkampf” in Halle und ab 1927 für die “Rote Fahne”. Seit 1951 war er freischaffender Künstler. Hans Lorbeer war überzeugter Kommunist.2
Aufgrund des Inhalts ist anzunehmen, daß das Gedicht Ergebnis einer Auftragsarbeit seitens der SED oder eines ihr unterstellten Organs ist.
Der Titel “Frühlingslied einer Traktoristin” läßt vermuten, daß das Gedicht gesungen werden sollte. Damit wäre es bei festlichen
Anlässen oder bei der Arbeit ‚in aller Munde‘ gewesen. Zudem sind Texte mittels einer Melodie leicht einprägsam und können stärker emotionalisieren.
Das Gedicht handelt von einer Frau, die ihre Stellung als Melkerin bei einem Bauern kündigt und fortan als Traktoristin das Land bestellt.
Das Gedicht berichtet davon, wie sie ihren Beruf erlangt hat und welche Aufgaben ihr obliegen. Darüber hinaus vermittelt das Gedicht Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Das Gedicht wird aus der Perspektive der Protagonistin erzählt.
In Zeile 1 stellt sie sich als Traktoristin der MAS vor. Die MAS oder MTS waren die Maschinenausleih- oder Maschinen-Traktoren
-Stationen. Diese wurden, anfänglich unter dem Namen “Vereinigung der gegenseitigen Bauernhilfe” (VdgB), im Jahr 1946 gebildet und
1965 aufgelöst. Die Gründung der MAS bzw. MTS steht im Zusammenhang mit der zwischen 1945 und 1949 vollzogenen Bodenreform,
ihre Auflösung mit der Entstehung der “Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften” seit 1952. Aufgabe der MAS bzw. MTS war
die Wartung und Entleihung technischer Geräte an Neubauern. Diese Maßnahme war notwendig, weil nach dem Krieg zu wenig Geräte
zur Verfügung standen und zahlreiche landwirtschaftliche Maschinen nach der Bodenreform auf den entstandenen kleineren Parzellen untauglich waren.
In Zeile 2 teilt die Protagonistin mit, daß sie “einst” als Magd bei einem Bauern tätig war. Da die MAS im Jahr 1946 gegründet worden
und das Buch im Jahre 1952 erschienen ist, kann sie höchstens seit 6 Jahren als Traktoristin tätig sein. Für einen überschaubaren
Zeitraum jedoch das Wort “einst” zu wählen, läßt die Vermutung zu, daß eine gefühlsmäßige Kluft zur Vergangenheit hergestellt werden soll.
Anschließend erfährt der Leser in Zeile 3, daß sie als Magd die Kühe zu melken hatte. In Zeile 4 heißt es “dann hab ich den Dienst
aufgesagt”. Sie hat demnach ihre Stellung gekündigt. In Zeile 5 erzählt die Protagonistin, daß sie nun in einer “Werkstatt” arbeitet. Damit
ist offenbar die MAS gemeint. Ihre neuer Beruf besteht gemäß der Funktion der MAS darin, landwirtschaftliche Maschinen zu reparieren.
Aus Zeile 8 ist zu entnehmen, daß sie erlernte, einen Traktor zu bedienen. In Zeile 7 heißt es: “Nun lerne und steh deinen Mann!” Die
Formulierung “seinen Mann stehen” bedeutet, eine Sache mit vollem Einsatz anzugehen. Allerdings könnte darüber hinaus doppeldeutig
gemeint sein, daß die Ich-Erzählerin einen bisher ausschließlich von Männern ausgeübten Beruf ergreift. Die Ich-Erzählerin sprengt
damit ein traditionelles Muster, nach dem Männer und Frauen unterschiedliche gesellschaftliche Aufgaben zu erfüllen haben.
Die Emanzipation3 der Frau wurde als notwendige Maßnahme beim Aufbau des Sozialismus betrachtet.4 Dies begründet sich nicht nur in der verfassungsmäßigen Bestimmung: “Mann und Frau sind gleichberechtigt.”, sondern auch in dem nach dem Krieg herrschenden
Frauenüberschuß. Viele Männer waren im Krieg gefallen, verletzt oder in Gefangenschaft geraten.5 Dadurch entstand eine Lücke in der
Reihe der arbeitsfähigen Menschen. Somit wurde von den Frauen der SBZ und späteren DDR “kreatürlich-zäher Überlebens-, Friedens- und Aufbauwille”6 verlangt.
In Zeile 10 berichtet die Protagonistin, daß sie ihre Arbeit “weit über” den eigentlichen “Soll” erfüllt. Demnach ist ihr vorgegeben, wieviel
Leistung sie erbringen muß. In den Zeilen 11 bis 13 heißt es: “Die Wolke stieg dunkel, warf Regen herab, der Wind sprang mich an, toll
und voll. Doch Furchen um Furchen zog ich übers Feld.” Die Traktoristin arbeitet selbst unter widrigsten Bedingungen und beweist damit
Einsatzbereitschaft. Darüber hinaus ist sie erfolgreich und bestellt den Acker laut Zeile 16 “jedes Jahr besser”. Mit dieser Feststellung will das Gedicht Ansporn bei der täglichen Arbeit sein.
In Zeile 20 spricht die Ich-Erzählerin dann auch direkt von “Fleiß” und “Verantwortlichkeit”. Sie verdeutlicht in den Zeilen 19 und 21 bis 24,
daß gute Arbeitsergebnisse nur erreicht werden können, wenn entsprechende Vorarbeit – das Warten der technischen Geräte – geleistet wird.
In Zeile 25 berichtet die Traktoristin: “Wir prüften uns selber”. Hierbei geht es nicht nur um Verantwortung, sondern um Eigenverantwortlichkeit. Jeder einzelne arbeitende Mensch ist für die reibungslose und ertragreiche Arbeit selbst zuständig. Nach der
Bodenreform wurde das Land, das ehemals im Besitz von Gutsherrn war, dem Volk übergeben. Nun unterstanden die Bauern nicht mehr
einer Person, die ihnen ihre Arbeit zuwies und die Verantwortung für das Gut trug. Jetzt wurden “Landwirtschaftliche
Produktionsgenossenschaften”, sogenannte LPGs gegründet, deren Ziel es sein sollte, allen Bauern ein Mitspracherecht zu sichern
und damit verbunden auch Verantwortungsbewußtsein zu schaffen. Herr über das Land sollten die Bauern selbst sein. Dies kommt in
der Parole “Junkerland in Bauernland” während der Bodenreform zum Ausdruck. Letztlich sollte die Bodenreform aber auch die
Lebensbedingungen der Bauern verbessern. Die Ausbeute der Ernte sollte direkt den Bauern zugute kommen und nicht wie vor der Bodenreform den Profit des Gutsherrn steigern.
Aus Zeile 27 spricht deshalb die Zuversicht, daß eine “bessere, hellere Zeit” kommen wird. Sie soll die täglich zu leistende Arbeit
rechtfertigen und motivieren. In den Zeilen 28 bis 31 wird die Zukunft beschrieben. Die Menschen werden frei von Sorgen sein und keinen
Hunger leiden. Damit werden die Kriegsjahre und die schwere Nachkriegszeit überwunden.
In Zeile 34 behauptet die Traktoristin, sie werde demnächst Aktivistin sein. Ein Aktivist ist “ein Werktätiger, der bei der Erfüllung des
Planes außerordentliche Leistungen im sozialistischen Wettbewerb vollbringt und dafür mit dem staatlichen Titel Aktivist der
sozialistischen Arbeit geehrt wird. Der Aktivist wirkt beispielgebend bei der Entwicklung, Anwendung und vollen Nutzung der neuen
Technik, der komplexen sozialistischen Rationalisierung und Automatisierung, der Verbesserung der Arbeitsorganisation und der Durchsetzung neuer Arbeitsmethoden.”7
Demnach ist die Protagonistin in ihrer Arbeit besonders erfolgreich. Gemessen an der Arbeitsleistung und der persönlichen Einstellung
zur Arbeit wird also nicht irgendeine Traktoristin im Gedicht vorgestellt. Vielmehr handelt es sich bei der Protagonistin um eine -
idealisierte - Arbeiterin, die als Vorbild für andere dient. Das Gedicht reiht sich somit in die seit 1947/ 48 begonnene Aktivistenbewegung
ein, die sich zum Ziel setzte, die Mangelwirtschaft der Kriegsjahre aufzuheben und soziale Gerechtigkeit herzustellen. So lauteten
beispielsweise Losungen der Partei “Mehr produzieren, gerechter verteilen, besser leben!”8 und “Zweijahrplan zur Wiederherstellung und
Entwicklung der Friedenswirtschaft 1949/ 50”9. Damit einher ging der “Kampf gegen das Bummelantentum” und das Ziel, jeden Bürger zu
“‘sozialem Verantwortungs- und höchstem Pflichtbewußtsein‘ gegenüber der Partei und dem Volk”10 zu erziehen.
In den Zeilen 35 und 36 erklärt die Protagonistin, daß sie der “kluge Minister” zum “Traktoristenkongreß” einladen wird. Die Traktoristin
erkennt die hierarchisch höher gestellte Position des nicht näher beschriebenen Ministers offenbar an. In dieser Textpassage wird der
Leser indirekt aufgefordert, seinen Vorgesetzten zu vertrauen, daß sie ihrer Funktion als planende und leitende Instanz gerecht werden.
Doch nicht nur dem Minister wird Anerkennung gezollt.
In der oben zitierten Definition heißt es weiter, daß ein Aktivist “seine Erfahrungen den anderen Werktätigen”11 mitteilt.
Auf dem Traktoristenkongreß wird die Traktoristin vor allen Teilnehmern laut den Zeilen 37 und 38 einen Bericht über ihre Arbeit erstatten
und, wie in Zeile 39 beschrieben, “an das Rampenlicht” treten. Somit soll ihre Sachkenntnis dazu beitragen, die Arbeit ökonomischer zu
gestalten. Dies wird durch die Definition des Begriffs “Aktivist” bestätigt, in der es außerdem heißt, daß ein Aktivist “seine Erfahrungen den anderen Werktätigen” mitzuteilen habe.
Folglich wird der Traktoristin Bedeutung zugemessen und Achtung entgegen gebracht. Sie steht stellvertretend für alle arbeitenden
Menschen des Landes. Die DDR verstand sich als ein Arbeiter- und Bauernstaat. In diesem sollte jeder ‚Werktätige‘ an der Macht im
Staat beteiligt werden. Besonders die Bauern stellten, ähnlich idealisiert wie im Dritten Reich, als Ernährer der Bevölkerung und
Urbarmacher des Heimatbodens den neuen Typus des sozialistischen Menschen dar: kraftvoll, gesund, mit den Händen “ehrliche Arbeit”
verrichtend und unkompliziert im Geist. Sie stellten letztlich sogar den positiven Gegentypus zum intellektuellen Menschen dar, der trotz
Parolen und in Aussicht gestellter Belohnungen mühsamer zu gewinnen war. Dieses Gedicht bzw. Lied der Traktoristin könnte demnach
nicht nur an Bauern oder Arbeiter in Betrieben gerichtet sein. Es ist möglicherweise auch dazu bestimmt gewesen, die Schicht der
Intellektuellen zu beeinflussen und auf das System einzustimmen. Aufgrund des Inhalts, der keinerlei Anspielung auf die Schicht der Studierten des Landes aufweist, bleibt dies allerdings Vermutung.
Fazit
Das Gedicht läßt sich stilistisch dem sozialistischen Realismus zuordnen. Die Absicht des Gedichts ist es, den Leser zu erziehen.
Dem Rezipienten wird ein Vorbild – hier in Gestalt einer Traktoristin – präsentiert. Die Protagonistin ist anonym und besitzt keinerlei
individuelle Züge. Statt dessen zeichnen sie Eigenschaften aus, die dem sozialistischen Ideal entsprechen. Die Traktoristin wird in ihrer
Arbeitswelt als fleißig, aufopferungsvoll und verantwortungsbewußt beschrieben. Sie führt vertrauensvoll die Anordnungen der Regierung
aus. Indem sie auf eine Auszeichnung als Aktivistin hoffen kann, wird dem Leser der Eindruck vermittelt, daß es sich auszahlt, ihr
nachzueifern. Aber auch der Glaube an eine bessere Zukunft, die für alle Entbehrungen in Vergangenheit und Gegenwart entschädigt,
sollen sich auf den Leser übertragen und ihn zum Mitwirken am Aufbau einer neuen Gesellschaftsordnung bewegen.
Fußnoten:
1Menschen und Werke. Vom Wachsen und Werden des neuen Lebens in der DDR, Berlin [Ost] 1952, S. 152, in: Kleßmann/ Wagner, Das gespaltene Land, S. 492-493.
2 Fritzlar, Sigrid, Artikel: Lorbeer, Hans, in: Gabriel Baumgartner/ Dieter Hebig (Hg.), Biographisches Handbuch der SBZ/ DDR 1945-1990, München 1996/97 (Digitale
Bibliothek Bd. 32, Enzyklopädie der DDR, Berlin 2000, S. 13950). 3 Am 8.3.1947 wurde der “Demokratische Frauenbund Deutschland” (DFD) gegründet. Dieser war allerdings weltanschaulich auf den Marxismus-Leninismus ausgerichtet
und nur in geringem Maße selbständig. Die Emanzipationsbewegung war damit kontrolliert und konnte für ideologische Zwecke benutzt werden. 4 Artikel: Frauenpolitik, in: Andreas Herbst/ Winfried Ranke/ Jürgen Winkler (Hg.), Lexikon der Organisationen und Institutionen, Reinbek 1994 (Digitale Bibliothek Bd. 32
, Enzyklopädie der DDR, Berlin 2000, S. 8243). 5 ebd., S. 8241. 6 ebd., S. 8241. 7 Artikel: Aktivist, in: Heinz Göschel (Hg.), Meyers Neues Lexikon, Bd. 1, 2., völlig neu erarbeitete Auflage, Leipzig 1972, S. 167.
8 Aufruf des II. SED-Parteitags im Jahr 1947 9 Zielsetzung des Parteivorstandes der SED im Jahr 1948 10 Artikel: Aktivistenbewegung, in: Andreas Herbst/ Winfried Ranke/ Jürgen Winkler (Hg.), Lexikon der Organisationen und Institutionen, Reinbek 1994 (Digitale
Bibliothek Bd. 32, Enzyklopädie der DDR, Berlin 2000, S. 7710). 11 Artikel: Aktivist, in: Heinz Göschel (Hg.), Meyers Neues Lexikon Bd. 1, 2., völlig neu erarbeitete Auflage, Leipzig 1972, S. 167.
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