Banner_blau
[STARTSEITE] [Impressum] [Datenschutzerklärung] [Intention] [Sitemap] [POLITIK] [WIRTSCHAFT] [KULTUR] [GESELLSCHAFT] [GEOGRAPHISCHES] [CHRONIK] [PERSONEN] [ZEITZEUGEN] [UMFRAGEN] [MEDIEN-TIPPS]
Wende
Zwei-plus-Vier-Vertrag
Darstellungen

HINWEIS: Der nachfolgende Text ist der DDR-Zeitung “Junge Welt” vom Montag, den 9. Oktober 1989 entnommen. Es handelt sich hierbei um einen (von der “Jungen Welt” in gekürzter Form abgedruckten) Zeitungsartikel der “Wiener Hochschulzeitung” vom 19. September 1989, die von der Marxistischen Gruppe (MG) herausgegeben wird. Der Artikel erschien in Österreich unter dem ursprünglichen Titel: “ ‘Das Leben in der DDR ist unterträglich!’ - Warum eigentlich?”
Der Text ist  kritisch zu lesen und stets im Zusammenhang mit der ideologischen Einstellung und politischen Intention der österreichischen und deutschen Herausgeber zu sehen.

ANMERKUNG: Der Artikel  - vom Presseorgan der kommunistischen DDR-Massenorganisation FDJ in gekürzter Form übernommen - greift in zynischer Weise die von ausgewanderten DDR-Bürgern angegebenen Beweggründe für ihre Umsiedlung in die BRD auf. Die Ausgewanderten werden dabei als “Freiheitsfanatiker” betitelt. Das DDR-System wird verherrlicht und als menschenfreundliches Land beschrieben. Die Äußerung, DDR-Bürgern würde es materiell an nichts fehlen, ignoriert den stets beklagten Mangel selbst alltäglicher Güter wie Nahrungsmittel oder Bekleidung. Sowohl die ständige ideologische Bevormundung als auch die staatliche Überwachung vieler Bürger durch die “STASI”, die eine Verletzung der Privatsphäre, aber auch Verhöre und Gefängnisstrafen mit sich brachte, bleiben unerwähnt. Statt dessen werden die  angeblich unbedeutende demokratische Staatsordnung, Meinungs- und Reisefreiheit der BRD als nicht erstrebenswerte Grundlage für ein glückliches Leben dargestellt bzw. als Illusion abgetan. Um dem Artikel den Charakter von Authentizität zu verleihen, werden  Zitate  ehemaliger DDR-Bürger (die Aussagen können durchaus ungefälscht sein) in verzerrender Weise in die Argumentation eingefügt, so daß sie sich scheinbar selbst widersprechen und somit die Glaubwürdigkeit der ausgewanderten DDR-Bürger untergraben.

 

 

Freiheits-Fanatiker Marke Ost

In der “Wiener Hochschulzeitung” heißt es zu obigen Fragen:

Die Antworten, die Original-DDR-Flüchtlinge westlichen Fernseh- und Pressefritzen auf diese Fragen geben, sind höchst eigenartig.
Keiner hat in der DDR Mangel gelitten. Im Gegenteil, alle geben ungefähr dasselbe zu Protokoll, wenn sie der hiesigen Öffentlichkeit ihre deutsch-deutschen Lebensläufe vorführen dürfen.
“Wir hatten drüben alles, daß es uns an nichts fehlte.” (Hilde K., 45 Jahre, Psychologin, zum westdeutschen “Spiegel”)
“... ich wollte nur dort weg. Und zwar nicht, weil es mir schlechtging. Ich war privilegiert, ich hab’ meine Nische ausgefüllt. Aber die Vorstellung: Das geht jetzt noch zwanzig Jahre so weiter - die hab’ ich nicht ertragen.” (Ludwig H., 44 Jahre, Sprachwissenschaftler)

Mit Ellenbogen zwar rauher - aber ehrlicher?

Ist ja auch eine unerträgliche Vorstellung - noch zwanzig Jahre lang ein gutes Leben mit Privilegien erdulden zu müssen. Wenn im Freien Westen ein “Erfolgsmensch in den besten Jahren” über solche Zustände klagt, gibt’s dafür den guten englischen Namen “midlife-crisis”, und es ist völlig klar, daß der gute Mann von einer verständnisvollen Ehefrau, vom Psychologen oder - in hartnäckigen Fällen - von Psychiatern betreut werden muß. Und “No-future”-Jugendliche, die beschließen, die Zukunft wäre “echt irgenwie” einfach nicht auszuhalten, gibt es hierzulande durchaus auch in erklecklicher Anzahl.
Die Drangsale, die den “kleinen Mann” aus dem Arbeiter-und-Bauern-Staat heraustreiben, sind kein bißchen schlauer.
“Materiell ging’s mir gut. Aber wie das so ist mit materiellen Dingen - wenn man sie hat, sind sie schon fast nichts mehr wert... Der Osten ist nicht in der Lage, Arbeiter entsprechend zu entlohnen, es kann doch nicht sein, daß ich als Facharbeiter dasselbe Geld verdiene wie ein Diplomingenieur... Ist zwar schwieriger hier, sein Geld zu verdienen, aber im Osten wär’ ja nichts mehr passiert...” (Bert Z., 34 Jahre, Elektronikfacharbeiter)
Was eigentlich so furchtbar daran sein soll, wenn es einem Diplomingenieur genauso gut geht wie einem Facharbeiter, dem es nach eigener Auskunft an nichts fehlt - das weiß dieser Ex-DDRler wahrscheinlich selbst nicht. Er weiß nur eines: “Es” mußte mal was passieren, weil sonst ja nichts mehr passiert wäre - außer, daß es ihm und seinem Diplomingenieur weiter materiell gut gegangen wäre... So gesehen sind dann die Unsicherheiten des freien Arbeitsmarkts und die Leistungsanforderungen und die Billiglöhne in westlichen Unternehmen ein einziges Abenteuer für unternehmungslustige Facharbeiter.
Sobald DDR-Flüchtlinge aufgefordert werden, die  “schrecklichen Zustände jenseits der Zonengrenze” zu beschreiben, wegen denen sie ihre gesicherte Ost-Existenz aufgegeben haben - fällt ihnen nichts ein. Politische Anliegen, mit denen sie in der DDR nicht zum Zuge gekommen sind, kann die überwiegende Mehrheit jedenfalls nicht angeben. Kein Wunder, bis zu ihrer Flucht haben die meisten in der DDR als unauffällige Bürger gelebt. Sie hatten ihren Beruf, ihr Auskommen, für ihre Urlaubsreisen stand ihnen ein Teil des Globus zur Verfügung, der nach hiesiger Auffassung immer noch viel zu groß ist. Kurz: Sie haben einen ganz stinknormalen DDR-Alltag gelebt. Die Grenzen des dort Erlaubten hat dabei kaum einer je überschritten. Als Oppositionelle sind sie in der DDR nie aufgefallen - geschweige denn haben sie versucht, an den Verhältnissen in der DDR etwas zu verändern. Warum hätte die SED-Führung solche Untertanen eigentlich unterdrücken oder politisch verfolgen sollen?” Sie hatte dazu genauso wenig Veranlassung, wie westliche Politiker oder Unternehmer gegen ihre Bürger vorgehen müssen, die unter immerwährendem Gemecker den Notwendigkeiten ihres marktwirtschaftlichen Alltag nachkommen.
Genau so grund- und bedingungslos, wie sie sämliche Lebensumstände in der DDR ablehnen, halten DDR-Flüchtline die Verhältnisse in ihrer bunderepublikanischen Wahlheimat für rundherum gelungen. Sie sind wild entschlossen, sich brav einzugliedern und anzupassen. 100prozentige West-Bürger wollen sie sein - und dieser Entschluß läßt sich nicht durch Informationen über die “rauhen Seiten” der freien Marktwirtschaft und schon gleich nicht durch eigene unangenehme West-Erahrungen erschüttern.
Neuankömmlinge aus der DDR geben sich abgeklärt realistisch, was ihre Erwartungen im Freien Westen betrifft. Jeder kann den Spruch aufsagen, daß “im Westen nicht alles Gold ist, was glänzt”. Keiner ist so naiv und meint, er bekäme seinen Trabi im Westen umgehend gegen einen schicken Mercedes eingetauscht. In der Freiheit hat alles seinen Preis - daß der für Edel-Karossen nicht gerade knapp ist, wissen aufgeweckte DDRler schon lange, wofür haben sie denn Westfernsehen?! Sie denken auch gar nicht, daß das Leben erst mit dem Besitz eines Mercedes lebenswert würde. Aber die Möglichkeit, ein Leben lang auf ein “Super-Auto” sparen zu können und es dann eventuell doch nie zu kriegen, die hat es offensichtlich in sich.
Die berühmte Reisefreiheit ist ihnen in der DDR ganz furchtbar abgegangen. Jeder beteuert, wie sehr er sich dort eingesperrt gefühlt hat - als hätte es die DDR-Regierung mit ihrer Grenzsicherung genau auf ihn und sein Fernweh abgesehen. Umgekehrt sehen sie sich im Westen allein dadurch höchstpersönlich gut bedient, daß da die Grenzkontrollen anders geregelt sind - als wäre das eine Einrichtung zur Förderung privater Reisepläne. Dabei wissen auch die frischgebackenen BRD-Bürger, daß das Leben hierzulande erstens sowieso nicht aus Urlaubsreisen besteht und daß man sich die zwei bis drei “schönsten Wochen des Jahres” zweitens auch erst mal leisten können muß. Sie kämen aber nie auf die blödsinnige Idee, das den hiesigen Politkern überzunehmen und ihnen vorzuwerfen, die hätten ihren ganzen marktwirtschaftlichen Laden extra dafür eingerichtet, um Bürger mit wenig Geld am hemmungslosen Weltreisen zu hindern.
Berufliche Karrieren hätten die Flüchtlinge auch in der DDR machen können - teilweise haben sie ja schon einen erfolgreichen DDR-Aufstieg hinter sich. Auf diese östlichen Berufsaussichten legen sie allerdings keinen Wert, schon wegen der “dauernden Beurteilung, Überprüfung und Gängelung”. West-Karrieren halten sie dagegen für unvergleichlich erstrebenswerter. Nicht daß sie nicht wüßten, daß West-Karrieren auch ihre Bedingungen haben - Beurteilungen und Überprüfungen duch Vorgesetzte eingeschlossen -, aber es sind eben andere Bedingungen als in der DDR. Die Schönheiten der westlichen Konkurrenz nehmen sie zur Kenntnis und behaupten allen Ernstes, so eine “Ellenbogengesellschaft” wäre zwar “rauher”, aber wenigstens wäre das eine ehrliche Angelegenheit.
“In der Buchhandlung in diesem Örtchen (West), da ist so ein häßliches Arbeiten. Eine totale Hierarchie. Einer hat Angst, daß der andere besser sein könnte... Ich hatte nicht gelernt, mich so in den Vordergrund zu spielen. Muß man hier aber. Man muß immer seine Fähigkeiten betonen und möglichst noch andere anscheißen... Irgendwo sind wir doch alle DDR-geschädigt.” (Zwei DDR-Jung-Flüchtlinge im “Spiegel”)
Das ist gelungen: Erst die Ekelhaftigkeiten und Angebereien auflisten, die hierzulande zum guten beruflichen Umgangston dazugehören. Und dann soll das keinesfalls gegen den Laden hier sprechen, sondern gegen die DDR. Die schädigt ihre Leute mit ihrem vergleichsweise gemütlichen Berufsleben, das den Menschen überhaupt nicht zu den reizenden westlichen Sitten erzieht.
Diese Leute sind durch nichts zu enttäuschen.
Es sind Leute, die sich eine merkwürdige Weltsicht zugelegt haben: Alles, was es in der BRD gibt - von BMW und “Bild”-Zeitung bis zur “Ellenbogengesellschaft” - und in der DDR nicht, spricht unwiederruflich gegen die DDR. Diese Leute messen die ganze Welt an ihrem Wunsch nach privaten Möglichkeiten und sehen sich durch volle Schaufenster und Reisekataloge bestens bedient, auch wenn sie nichts davon wirklich genießen. Sie beurteilen die westdeutsche Wirtschaftsmacht so, als wäre sie ein im großen und ganzen erstklassiges Angebot fürs private Lebensglück. Gegen jedes bessere Wissen und gegen jede Erfahrung gehen sie davon aus und halten daran fest, daß Marktwirtschaft, Demokratie und der ganze Freie Westen eingerichtet wären, um tüchtige, rechtschaffene Menschen mit Chancen und Möglichkeiten zu bedienen. Umgekehrt gehen sie bei ihrer DDR davon aus, dort hätte sich die Staatspartei ihr ganzes Staatswesen letztlich nur dazu zugelegt, um ihr Volk zu dransalieren.
Insofern sind die DDR-Flüchtlinge  - ohne jeden politische Gedanken im Kopf - Fanatiker der westlichen Freiheit und der bundesdeutschen Nation.
Und so gesehen passen sie wunderbar in ihre neue Heimat: Sie haben sich schon in der DDR all die Lebenslügen angeeignet, die sich alteingesessene Untertanen Marke West zurechtzuzimmern pflegen.

DDR-Obrigkeit - aber in Bonn sitzt Ersatz-Obrigkeit

Von allein kommt in der DDR kein Mensch auf diesen Unsinn. Freiheits-Fanatiker Marke Ost sind das Erziehungs-Produkt einer deutsch-deutschen Zusammenarbeit auf höchster Ebene. Erstens hat die bundesdeutsche Regierung jedem DDR-Bürger tausendmal eingehämmert, daß seine DDR-Obrigkeit kein Recht auf ihn hat und seine Ersatz-Obrigkeit in Bonn jederzeit für ihn bereitsteht. Unterstützt wird diese Botschaft zweitens durch das West-Fernsehen; über alle Kanäle wird täglich Anschauungsunterricht über die “bunte, weite Welt der Freiheit” mit ihren ganz andersartigen Chancen und Möglichkeiten erteilt. Und dann kommt drittens die SED-Führung daher und bringt ihrem Volk bei, daß gute Sozialisten die Errungenschaften des Freien Westens keinesfalls kritisieren dürfen, sondern dem “Weltniveau”der Westler nacheifern müssen. Darauf haben sich etliche DDRler ihren ganz privaten Vers gemacht. Dann muß nur noch die ungarische KP auf West-Öffnung setzen, die bundeseutsche und die österreichische Öffentlichkeit das DDR-Volk über Fluchtmöglichkeiten informieren und Kaiserenkel Habsburg den Flüchtlings-Treck organisieren - schon gibt’s einen “Sommer der Massenflucht”.