1.1.2004, Frau A... aus Österreich:
“Mein Problem ist, dass ich nicht verstehen kann warum viele Menschen in der DDR so unzufrieden waren und
deshalb alles aufgaben und neu anfingen. Ich komme aus Österreich und auch bei uns war es in den 60er und 70er Jahren für eine Arbeiterfamilie schwer bis fast unmöglich ein Auto zu haben oder in Urlaub zu fahren -
nicht aus Mangel sondern aus finanziellen Gründen. Ich habe mir vor ein paar Jahren die DDR - Ausstellung im Wiener Volkskundemuseum und 2000 das Museum für Alltagskultur in Eisenhüttenstadt angeschaut und habe
festgestellt, dass im Lebensstil, in der Mode und auch im “sich etwas leisten können” kein großer Unterschied zwischen uns und der DDR war. Ich muss dazu sagen dass ich aus sehr einfachen Verhältnissen
komme und ich -von aussen betrachtet - die DDR nicht so schlimm finde. Ich rede jetzt nur vom Materiellen. Ein Gesamturteil würde ich mir als Nichtbetroffener nicht gestatten. Positiv würde ich auch den
Gemeinschaftssinn in der DDR sehen, äußerst unangenehm wäre mir die Bespitzelung gewesen - also da hätte ich mich verweigert. Ich habe bisher nur die Arbeiterschicht verglichen, in den besser qualifizierten Berufen
gab es natürlich auch im Materiellen große Unterschiede - ein Akademiker in der DDR konnte zu seinem Kollegen im Westen nur hinaufschauen. Ich möchte ganz einfach begreifen was die Menschen zur Flucht trieb und
warum das Leben in der DDR für so viele so schrecklich war. Vielleicht die Hoffnung auf eine bessere finanzielle Zukunft, zu große Erwartungen an den reichen Bruder im Westen oder geistige Freiheit (die gibt es auch
im Westen nicht, fügen muss man sich überall). Natürlich hatte jeder seinen individuelle Grund, aber einen gemeinsamen Nenner muß es doch gegeben haben. ...”
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9.7.2004, Webmaster
“Sehr geehrte Frau R...,
vielen Dank für Ihren Besuch auf DDR-GESCHICHTE.DE. Zu Ihrer heutigen Anfrage: Wie bereits aus dem Namen hervorgeht, befaßt sich
DDR-GESCHICHTE.DE ausschließlich mit Fragen zur DDR. Ziel ist es, Grundlageninformationen bereitzustellen, um Schülern, Studenten
, ehemaligen Bürgern der DDR und allen anderen Interessierten Einblick in das Leben der jüngsten Diktatur auf deutschem Boden zu
gewähren. Meine Absicht ist es dabei, sowohl Gutes als auch Schlechtes in Erinnerung zu rufen und ein ausgewogenes Bild über die DDR-Zeit zu vermitteln...”
12.7.2004, Antwort von Frau R...
“Danke für die Antwort, wenn ich den ersten Absatz auch nicht verstehen kann. Ich bin selbst in der ehemaligen DDR geboren und
aufgewachsen. Ich habe das damals und heute nicht als Diktatur empfunden. Wir Kinder wurden stehts umsorgt und aus heutiger Sicht
kann ich sagen, es hat mir nicht geschadet, Respekt vor anderen, Stolz auf eigene Leistungen und den Biß, den man in den Alten
Bundesländern braucht, um sich allein durchzuschlagen, zu lernen. An meine Kinder geben wir das so weiter. Vielleicht ist das der Grund,
daß unsere Kinder nicht stehlen, Drogen nehmen oder anderweitig vorbestraft sind.”
12.7.2004, Antwort des Webmasters
“Sehr geehrte Frau R..., ich freue mich, daß Sie noch einmal geantwortet haben.
Nun, gestatten Sie, dass ich - kurz - auf Ihre Äußerung antworte: Die DDR war eine Diktatur.
Diktaturen sind dadurch gekennzeichnet, daß Machthaber - wie auch immer sie in ihre Position gelangt sind - ein System schaffen, dass
es ihnen ermöglicht, anderen Menschen ihren Willen aufzuzwingen. Damit verbunden ist die Verweigerung elementarer Grundrechte wie
freie Meinungsäußerung, Versammlungsfreiheit, Pressefreiheit, ein pluralistisches Parteiensystem (nicht "Blockparteien", die letztlich als
Alibi für eine Partei fungieren, die sich im Verfassungstext ihre uneingeschränkte Macht sicherte!) und die Freiheit, sich seinen Wohnort
frei zu wählen (abgesehen von systemtreuen Staaten wie den ehemaligen Ostblockländern) - und das alles ohne Androhung von
psychischer oder physischer Gewalt (ich möchte an die Mauertoten, die vielen politisch Inhaftierten und die hohe Zahl bespitzelter Bürger erinnern).
In jedem System gibt es Strukturen, soziale Komponenten, die als positiv angesehen werden - durchaus mit Recht. Ja, die
Kinderbetreuung beispielsweise war in der DDR im Vergleich zum bundesdeutschen System hervorragend. Aber vergessen Sie dabei nicht
, dass neben den Idealen, den Kindern ein besseres Leben bieten zu können, auch die Absicht verbunden war, die Kinder zu
systemtreuen Bürgern heranzu"züchten". Ja, in den Massenorganisationen hat man viel mit den Kindern und Jugendlichen unternommen.
Ich selbst habe sehr schöne Erinnerungen daran. Diese lasse ich mir auch nicht nehmen, warum auch? Aber mir ist dennoch klar, dass
ein Eintritt in die Pionierorganisation bzw. die FDJ geradezu zwingend war, wenn man nicht als Außenseiter dastehen wollte und sein
Abitur bzw. seinen Studienplatz gefährden wollte... Nichtzuletzt wurde in der Schule, sei es im Unterricht (werfen Sie mal einen kritischen
Blick in Ihre alten Schulbücher) oder in den Nachmittagsveranstaltungen viel Propaganda verbreitet. Freies Denken wurde nicht gefördert,
stattdessen sollte man z.B. im Staatsbürgerkundeunterricht oder in Pionierveranstaltungen die "Errungenschaften" der DDR herunterbeten
und wurde auf ein Feindbild, das durch den "Westen" verkörpert wurde, eingeschworen. Halten Sie das für richtig, Frau R...? Würden Sie das Ihren eigenen Kindern noch einmal zumuten?
Ich weiß, dass auch das bundesdeutsche System nicht frei von Fehlern ist. Ich selbst ärgere mich oft über politische Entscheidungen -
gerade derzeit, wo das soziale System untergraben wird und der jungen Generation nur wenig Perspektiven bleiben. Aber es lohnt sich,
sich in einem demokratischen Staat zu engagieren, statt sich nach einem totalitären Staat zurückzusehnen.
Vielleicht halten Sie diesen Vergleich für überspitzt, aber er ist im Kern doch durchaus zutreffend: Nach den Wirren der Weimarer
Republik - übrigens dem ersten Versuch eines parlamentarisch-demokratischen Staates - sehnten sich die Menschen nach dem "starken
Mann", der wieder alles richtet. Nun, Hitler war scheinbar diese Person. Nun, auch im Dritten Reich gab es Jugendorganisationen (denken
Sie an den BdM etc.)... Dennoch dienten diese teilweise militärisch erscheinenden Organisationen dazu, die Jugend unter Kontrolle zu halten und nach den Vorstellungen der Nazis zu formen...
Nun, ich will nicht weiter ins Detail gehen. Vielleicht denken Sie noch einmal über Ihre verwunderten Worte nach, mit denen Sie auf meine
Äußerung reagierten, dass die DDR eine Diktatur war. Vielleicht konnte ich Sie von meinem Standpunkt überzeugen. ...”
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